ERIK OFFERMANN
                                  

Vorwort


"Ist es wahr, was wir sehen" Dies erscheint als eine zentrale Frage unserer Wahrnehmungskultur, die geprägt ist von der Erfindung der Fotografie und der bewegten Bilder. Die Problematik der Mimesis in der darstellenden Kunst ist durch Plinius' (XXXV, 65) Schilderung eines Malerwettstreites seit der Antike präsent: Die beiden Protagonisten wetteifern um die Vorherrschaft in der Naturnachahmung. Zeuxis malt Weintrauben so natürlich, dass Sperlinge darauf zufliegen und die Früchte picken. Parrhasios holt daraufhin Zeuxis in seine Werkstatt und bittet ihn, den schützenden Vorhang von seinem neuesten Werk zurückzuziehen. Es gelingt nicht, denn dieser ist gemalt, woraufhin Zeuxis die Überlegenheit des Parrhasios anerkennt.

Diese und ähnliche Anekdoten säumen den Weg der Kunstgeschichte, immer auf der Suche nach der „wahren" Darstellung, die frei ist von Täuschungen und Tricks. Eine Zuspitzung erfährt das Thema in unserer Gegenwart, wo wir auf Manipulationen, Listen und Fallstricke der Bildbearbeiter gefasst sein müssen. Das Computerzeitalter scheint alles zu ermöglichen, was denkbar ist. Das Vertrauen in das Medium Fotografie nimmt in dem Maße ab, in welchem die technischen Möglichkeiten zunehmen.

Ist der riesige Fisch auf der Abbildung wirklich der Beweis unserer Anglerfähigkeiten oder nicht doch bloß das Ergebnis eines guten PC-Equipments?

Doch gerade diese Ausschau nach gesicherter Wahrheit treibt uns zur Suche nach äquivalenten Formen der Gestaltung. Der in den 1970er Jahren in den USA aufkommende Fotorealismus als neue Richtung der Malerei, löst eine Diskussion um Akademisums der Maler einerseits und Kritik an der Fotografie andererseits aus. Der Vorwurf einer Wiederkehr des akademischen Stils, beispielsweise bei Chuck Close oder Ben Schonzeit, berücksichtigt aber nur bedingt die brillanten technischen Fähigkeiten der damaligen Malergeneration. Die Problematik der Abbildung reflektiert auch Gerhard Richter seit 1964, als er begann Gemälde nach Zeitungsausschnitten zu malen. Man kann dies als erste Reflexe auf die damalige internationale Dominanz der Abstraktion und Intellektualisierung verstehen, die in ihrem Bemühen um eine „reine" Kunst die Leidenschaft vernachlässigte.

Von einem gemalten Bild erhoffen wir uns mehr Wahrhaftigkeit, als von einer Fotografie. Offermanns Arbeiten sind Abbildungen einer Wirklichkeit, wie wir sie erleben, gleichzeitig erscheinen sie uns entrückt; d.h. ein Gebäude in fadem Licht, eine alltägliche Perspektive, fast menschenleere Orte, meist in einer unschuldigen Morgenstimmung.

Diese zurückhaltende Festlegung ermöglicht uns ein Eintauchen in diese Landschaftswelt, die nicht durch die Banalität des Seins beeinträchtigt wird. Hans Beltings These, wonach „die visuelle Welt (...) dem Ich mehr Widerstand (...) [bietet] als die unsichtbare Welt der Gedanken und Töne" (Belting, Identität im Zweifel, Köln 1999, S. 27) wird durch Offermanns Artefakte gewiss abgeschwächt.

Wenn Bilder der Innerlichkeit fremd sind, Musik aber gleich in die Seele dringt, so gelingt es Offermann eben diesen Gegensatz aufzubrechen.

Indem das von uns wahrgenommene Bild unmittelbar von der Netzhaut in die Seele gelangt, verschafft uns der Maler scheinbar einen visuellen Klang, dem wir uns nicht widersetzen, da er in seiner Reinheit unser Innerstes berührt. Wir lassen dem sinnlichen Gefühl Raum ohne gleich zu analysieren, insbesondere da „...in den Künsten alles Empfindung ist" (Madame de Stael, De L'Allemagne, Kapitel XXXII). Die Sinnlichkeit wird als Gegenentwurf zur Abstraktion gesetzt. Denn: unser Glaube an die Objektivität der fotografischen Arbeit ist durch Bildverfälschungen längst gestört; durch Offermanns „gemalte Fotografie" erhält sie wieder Glaubwürdigkeit, da das gemalte Bild nicht manipulativ eingesetzt zu sein scheint, sondern eine erhabene Erfahrungswirklichkeit verkündet.

Statt eine neue „Deutung der Welt" anzustreben, stellt es uns eine Hypostase gegenüber, die nicht analysebedürftig ist.

Seine Motive sind von einfacher Klarheit: Stadtansichten, Seestücke und Naturdarstellungen. Sie wecken, auch bei nicht identifizierbarem Sujet, wie einer nicht zuordenbaren Treppe, Vertrautheit. Perspektivische Ausschnitte wirken wie ein Zoom, wie ein Heranholen des avisierten Gegenstandes, doch durch die Verklärung aufgrund der von Offermann eingesetzten Verwischtechnik, erscheint es uns wie ein Erinnern. Die Stadtansichten, wie auch die Seestücke verkünden die Landschaft als Utopie einer intakten Natur. Eben durch die mangelnde Festlegung des Zeitpunktes und der damit verbundenen Ausblendung der unmittelbaren Wirklichkeit wird die Stadt zur Landschaft und somit Projektionsfläche unserer Sehnsüchte nach Vollkommenheit.

Robert van den Valentyn